Dem Volk aufs Maul schauen

Das waren noch ganz andere Zeiten – als sich ein Mönch und Theologieprofessor unter falschem Namen auf der Wartburg verstecken musste. Martin Luther, der Reformator, hat die Zeit sinnvoll genutzt – und damit wiederum die deutsche Sprache bis heute entscheidend geprägt.

Morgengedanken 9.10.2017 zum Nachhören:

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Martin Luther übersetzte auf der Wartburg das Neue Testament in die deutsche Sprache. Er wollte die Heilige Schrift mit seinen eigenen Worten „in eine vollständige deutsche, klare Rede“ bringen. Weiter gibt er sein Übersetzungsprinzip an: „Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, (wie meine Kritiker es tun), sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“

Karl Schiefermair
ist Oberkirchenrat der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich

Einheitliche Schriftsprache

Hier spricht nicht ein akademischer Übersetzer, sondern ein Pfarrer, der will, dass ihn seine Zuhörer verstehen. Das Wort der Bibel soll so zu seinen Zuhörern sprechen, dass sie es verstehen können. Luther wollte dem Volk auf das Maul schauen, damit ihn die Leute verstehen. Das war etwas ganz Neues im 16. Jahrhundert: Das Wort Gottes aus der Bibel war bis dahin entweder überhaupt nur lateinisch vorgesprochen oder buchstäblich übersetzt worden. Luther aber dachte darüber nach, wie er das Übersetzte für jemand ausdrücken konnte, der kein Doktor der Theologie war.

Die erste Auflage seines Neuen Testaments in Deutsch erschien im September 1522 und war ein großer Erfolg. Die 3000 Exemplare waren sofort ausverkauft, trotz des hohen Preises von umgerechnet einem Wochenlohn eines Handwerkers. Die Übersetzung der ganzen Bibel, an der neben Luther viele Gelehrte arbeiteten, erschien 1534. Man schätzt, dass bis zum Tod Luthers 1546 etwa 600.000 Exemplare dieser „Luther-Bibel“ gedruckt wurden und sich im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet haben. Mit dieser Verbreitung hat Luther nebenbei die deutsche Schriftsprache vereinheitlicht. Nord– und Süddeutsche können sich zwar bis heute mit ihren Dialekten nicht wirklich verstehen, haben aber die gleiche Schriftsprache – dank der Lutherbibel.