Singen statt warten

Warten zu müssen kann sehr ärgerlich sein – oder auch bereichernd, wenn es gelingt, die Wartezeit kreativ zu nützen.

Morgengedanken 22.10.2018 zum Nachhören:

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Klassenausflug der Tochter zum Kolosseum. Allseits Begeisterung, die Kinder spielen Gladiatorin in der Arena und Caesar im Publikum, und sie lernen an dem Tag viel über die alten Römer. Beim Rückweg, typisch für Rom heute, kommt der Bus nicht. Warten umsonst. Die Lehrerinnen sind genervt und machtlos.

Gudrun Sailer
stammt aus dem Pielachtal in Niederösterreich. Sie lebt in Rom und ist dort seit vielen Jahren Journalistin im Vatikan.

Die Kraft im Schöpferischen

Da hat eine von ihnen eine Idee: Die Kinder sollen sich in drei Gruppen überlegen, was sie aus der Warterei Schönes und Sinnvolles machen können, und zurück in der Schule wählen sie dann, welche Aktion die beste war. Die einen schreiben eine Liste der tollsten Sachen am Kolosseum. Die anderen hören neugierig auf die Touristen und versuchen herauszufinden, woher die Leute kommen, dann machen sie eine Statistik. Die dritte Gruppe erfindet ein cooles Lied über Gladiatoren und Heldenmut. Das Lied hat den ersten Preis gewonnen. Es macht noch heute die Runde in der Schule.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es für mich zeigt, welche verwandelnde Kraft im Schöpferischen liegt, auch der Lehrerin, die dieses Spiel aus der Not geboren hat. Statt sich ohnmächtig über den blöden Bus zu ärgern, haben die Kinder Spaß gehabt und miteinander etwas geschaffen, an das sie sich erinnern werden - immer wenn sie das selbstkomponierte Gladiatorenlied singen, vielleicht in Jahren noch. Und sie haben an dem Tag etwas gelernt, nicht nur über das alte Rom, sondern über das Leben: dass man öde Momente selber in Lichtmomente umgestalten kann. Dann werden aus widrigen Umständen kleine Siege voller Sinn.